»Ratten,« schloß Ramo bedeutungsvoll.
»Natürlich,« nickte Dolores, »der guten Mamsell Köhler ist's ja gar nicht wohl, wenn sie sich nicht vor irgend einem Gespenst fürchten kann.«
Ramo öffnete, voranschreitend, die eiserne Thür, welche dicht neben dem Turmzimmerausgange den nördlichen Flügel beinahe hermetisch von der übrigen Außenwelt abschloß. Es bot sich ihren Augen nun vor allem ein eichengetäfelter Korridor, dessen Fenster nach dem Hofe herausgingen, wie die der anderen Korridore des Falkenhofs. Die Thüren, welche in die Zimmer selbst führten, waren aber alle fest verschlossen und widerstanden jedem Öffnungsversuche. Am Ende des Korridors endlich schloß der zweite der von Mamsell Köhler bezeichneten Schlüssel eine schmale, einfache Thür auf, und diese, in den nördlichen Turm führend, gestattete den Eintritt in den verlassenen Flügel, dessen weite und hohe Räume es sicher nicht verdient hatten, von den Herren vom Falkenhof so stiefmütterlich behandelt zu werden. Daran aber war die Überfülle an Raum schuld, welche dies feudale Schloß barg, und – –
»Aber Ramo, sind das nicht die Zimmer, in denen meine Eltern wohnten?« fragte Dolores erstaunt beim Weiterdringen,während Ramo vorausging, die meist ganz verschlossenen Fensterläden zu öffnen.
»Ja, Herrin,« erwiderte der alte Diener mit einem Seufzer, in welchen Dolores einstimmte. Denn wohl waren diese Zimmer groß und teilweise sogar mit wertvollen alten Möbeln ausgestattet, aber sie entbehrten des Sonnenlichts, und eine beklemmende Moderluft lag in den Räumen, in denen die Stille des Todes herrschte.
»Arme Mutter,« dachte Dolores wehmütig, »und sie hatten keinen anderen Raum hier für dich, als diese gruftartige Zimmerflucht, in der du, des Südens sonnengewohnte Tochter, jahrelang dahinsiechen und welken mußtest – – – –«
Sie waren jetzt in einem Gemach angelangt, das, vollkommen eingerichtet mit schweren, geschnitzten, schwarzen Eichenmöbeln, nur diesen einen Eingang zu haben schien, und durch dessen letztes Fenster ein schräger Sonnenstreifen hineinfiel, direkt auf einen tiefen gepolsterten Sessel, welcher in der Fensternische stand.
»Hier hat die Herrin immer gesessen und auf die Sonne gewartet, und die Sonne dann solange auf ihr Gesicht scheinen lassen, bis sie wieder fortging,« erklärte Ramo bewegt und deutete auf den Sessel am Fenster.
Da wurde es Dolores recht schwer ums Herz, und auch sie setzte sich an den Platz, auf dem ihre Mutter die vielgeliebte Sonne erwartet hatte, welche ihr nur einen so kurzen und spärlichen Besuch machte zur Sommerszeit, während sie im Winter diese verlorene Ecke gar nicht erreichte.
»Stößt dies Zimmer nicht an meinen Turm?« fragte Dolores nach einer Pause, und als Ramo bejahte, sprach siedie Absicht aus, die Verbindungswand durchbrechen zu lassen, um wenigstens diesen Raum mit dem von ihr bewohnten Flügel zu verbinden. Doch statt aller Antwort sagte Ramo mit einem Mal:
»Mamsell Köhler hat doch Schritte gehört, keine Ratten. Und hier sind die Fußspuren!«
Er deutete nach dem Fußboden, auf dessen Parkett, wie in den anderen Zimmern auch, dichter Staub lag; Staub, der so alt war, als die Falkners damals nach dem Streite der Brüder den Falkenhof verlassen hatten. Und in dieser dicken, grauen Decke waren in der That Fußspuren zu sehen, augenscheinlich von dem Fuße eines Mannes, der in absatzlosen Schuhen durch das Zimmer gegangen war, und zwar führten diese Spuren aus der linken Ecke der nördlichen Schmalseite des Zimmers erst planlos und vielfach durchkreuzt durch das Zimmer, dann aber nach dem Kamin zu, der, wie Dolores sich's berechnete, genau mit dem ihres Turmzimmers zusammenstoßen, und dessen Feuerstätte in denselben Schornstein münden mußte.
»Ramo, wie alt sind diese Fußstapfen?« fragte sie nach einer Weile, nicht sehr erbaut über diese ungebetene und unheimliche Nachbarschaft.
»Die sind ganz frisch,« erklärte Ramo kopfschüttelnd. »Hier sind noch mehr Spuren, aber sie sind schon wieder halb verstaubt.«
Mit diesen Worten ging er den direkt zum Kamin führenden Schritten nach und entdeckte, daß die Fußspuren sich jenseits des vergoldeten Gitters in dem weiten Feuerschlunde fortsetzten, und ein schnell entzündetes Streichholz zeigte ihmnun auch Fingerabdrücke an der verräucherten eisernen Rückwand des Feuerplatzes.
Diesen Spuren folgend, tastete er ohne Rücksicht auf seine tadellos weißen Manschetten an der Wand entlang, bis er unten einen Knopf fand, welcher, seinem kräftigen Drucke nachgebend, leise, wie frisch geölt, sich bewegte, worauf die Wand leicht und lautlos sich nach oben bewegte und, einen Raum lassend, daß ein Mensch tiefgebückt durchschreiten konnte, die Aussicht freigab auf einen zweiten Feuerplatz, der in demselben Rauchfang mündete, und von diesem in – das Turmzimmer, welches Dolores als ihre ureigenste Domäne betrachtete.
»Höre, Ramo, das ist ja eine recht unangenehme Entdeckung,« rief sie nach der ersten Pause des Erstaunens. »Wer weiß, wer mir da schon manch' ungebetenen Besuch und zu Gott weiß welchem Zweck abgestattet hat.«
Ramo betrachtete seine rußigen Hände und schüttelte den Kopf.
»Herrin,« sagte er dann, »vor allen Dingen werde ich selbst den Schlosser aus dem Dorfe holen und so hereinbringen, daß er nicht gesehen wird. Der mag die Feder hier zusammenschweißen mit der Thür, und niemand kann mehr durch – oder er mag die Thür im Zimmer der Herrin mit dem Boden zusammennieten. Dann aber will ich suchen, wo die Fußspuren hereingekommen sind.«
Dolores war damit zufrieden und dankte innerlich ihrem Schöpfer, daß sie in Ramo solch' treuen und intelligenten Wächter besaß, doch das hatte er ihr freilich nicht gesagt, daß er eines Fuchseisens Aufstellung in dem diesseitigenKaminschlunde plante, »denn wenn man soviel entdeckt, will man den Lump doch auch haben,« meinte er voll gerechter Entrüstung.
Dolores aber dachte an ihren Traum von dem sich drehenden Kamin, und es überlief sie ein leiser Schauer, als sie die Wirklichkeit mit demselben verglich. Und da sie allzeit ein guter Denker gewesen, so trat die Figur des Doktor Ruß vor ihr geistig Auge.
Sollte ihr dadurch zur Warnung dienen, daß Doktor Ruß – –?
Aber mit großer Willenskraft wies sie diesen unwürdigen Gedanken von sich, und sie schämte sich dieses momentanen Verdachtes gegen einen Menschen, der gut erzogen und gebildet wie sie selbst, ihr noch keine Beweise gegeben hatte, daß er ein feindlicher Eindringling sei, der nächtlicherweile kam, um ihre Papiere zu durchstöbern. Denn was anders hätteerwollen können? Nein, dem diese Fußspuren im Staube gehörten, er war gekommen oder wollte kommen, um zu stehlen – ein niedriger Mensch, ein Dieb, denn wenn er auch vielleicht noch nicht vollführt, was er geplant – – schon der Gedanke, schon die Absicht, nicht die That allein macht zu dem, was man werden will.
Fröstelnd wendete sie sich ab, den nördlichen Flügel zu verlassen, aus dessen düsteren Räumen aller Ecken Schatten zu kriechen schienen wie Gespenster, und so stark wurde dies Gefühl des Unheimlichen in ihr, daß sie schnellen Schrittes hinauseilte und erst aufatmete, als im Korridor das helle Licht sie umwogte, und sie in die sonnengebadete Landschaft hinausblickte.
Und dennoch – sie fühlte es über sich hängen, wie die Wolke kommenden Unheils, und wenn die Sonne auch jenes eben gespürte Unbehagen fortscheuchte aus ihrem Herzen, die Wolke blieb, die hatte sie mitgebracht aus den verlassenen Räumen, in denen das Verbrechen einherschritt und sein lichtscheues Wesen trieb.
Aber sie schalt sich selbst ernsthaft wegen dieser Ahnung nahenden Unheils, sie nannte sich hysterisch, unvernünftig, thöricht. Freilich, der Wille thut's auch nicht immer, und die Wolke blieb, und sie sah nach ihr aus, wie der Landmann, der einen vernichtenden Hagelschlag fürchtet und die drohende Angst nicht los werden kann.
Und wie sie am Fenster ihres Schlafgemaches stand, in welchem ihr die früher ganz ungekannte Gewohnheit des Träumens gekommen war, da sah sie Alfred Falkner von Monrepos herüberkommen, mit festem Schritt, hoch, stolz, jeder Zoll der Sproß eines edlen Hauses. Und es kam ihr die Frage an das Schicksal: »Warum hat er mich hassen gemußt, daß ich den Panzer des Stolzes wider ihn anlegen mußte? Er, der einzige Mensch, an dessen Liebe mir gelegen gewesen wäre? Warum? Warum?«
Und sie versank in ein Grübeln und dachte darüber nach, was sie gethan haben mußte, das zu verscherzen, was sie ihr Glück genannt hätte – – –
Nach einer halben Stunde wurde der Freiherr von Falkner ihr gemeldet, und sie empfing ihn im Ahnensaal. Ihm fiel auf, daß sie ungewöhnlich blaß war.
»Ich komme wegen zweierlei Dingen,« sagte er, als sie ihn unbefangen, aber ein wenig hochmütig begrüßte, jedeVertraulichkeit von vornherein ausschließend, denn sie hatte eine stolze Seele, die zwar bereitwillig vergab, aber so schnell nicht vergessen konnte und – wollte.
»Sie machen mich neugierig,« antwortete sie Platz nehmend.
»Ja, das erste ist eine Mitteilung, das zweite eine Bitte.«
»Eine Bitte?« wiederholte sie erstaunt und setzte mit dem alten Spott, der ihn stets so sehr verletzt hatte, hinzu: »Also eine natürliche, von vornherein sichere Angelegenheit, die von meinem Gewähren oder Versagen unabhängig ist, nicht wahr?«
»Vielleicht doch nicht,« erwiderte er ruhig. »Eine ganz richtige Bitte,« fügte er mit leisem Lächeln hinzu.
»Das ist ja fast, als ob ein Eskimo seinen Antipoden um einen Trunk aus der Feldflasche bitten wollte,« gab sie ebenso zurück. »Oder sollte das Ende der Welt nahe sein?«
Einen Moment gab er keine Antwort, denn es stieg eine tiefe Röte in seinen braunen Wangen auf, welche erst herabgekämpft werden mußte.
»Ich denke, wir haben Frieden geschlossen?« fragte er dann ruhig und nicht ohne Humor.
»Ach ja, richtig!« rief sie lachend. »Schieben Sie das Vergessen auf das Ungewohnte. Also zur Sache!«
»Zur Sache,« erwiderte er. »Zuerst nun meine Mitteilung. Ich habe mich, unter Zustimmung des Herzogs, mit der Prinzessin Eleonore von Nordland verlobt.«
Also doch! Aber Dolores kämpfte tapfer ein seltsames Gefühl von Hoffnungslosigkeit nieder, das ihr ans Herz griff, und sie reichte Falkner lächelnd die Hand. Nur so weit reichteihre Beherrschung nicht, daß sie dieser kalten Hand ihre natürliche Wärme hätte wiedergeben können.
»Ich gratuliere,« sagte sie und setzte, scheinbar heiter, hinzu: »Aber Sie überraschen mich nicht –«
»O, nach dem, was gestern Abend vorgefallen ist –« warf er ein.
»Ich hatte daran gar nicht gedacht,« meinte sie. »Doch da Ihre Prinzeß Braut mich schon vorher zur Vertrauten zu machen geruhte, so war mir das Neue in der That nicht mehr ganz neu. Ich freue mich aber sehr, daß die Zustimmung des Herzogs zu diesem glücklichen Ausgange geführt hat.«
»Es ist sehr großmütig von Ihnen, sich überhaupt mit mir zu freuen,« erwiderte Falkner in einem Ton, von dem Dolores nicht genau wußte, wie sie ihn deuten sollte, ob ironisch, ob einfach konversationsmäßig, oder ob beziehungsvoll.
»Gehört wirklich Großmut dazu, anderer Leute Freude zu begreifen?« fragte sie mit einem matten Lächeln. »Mir scheint, Ihr Glaube an meine vielgerühmte Herzlosigkeit hat seinen Umsturzprozeß doch noch nicht ganz vollzogen.«
Ein bitteres Gefühl hatte ihn seine Worte nicht ohne Ironie meinen lassen, jetzt aber bereute er dieselbe sofort.
»Mea culpa,« sagte er bittend. »Aber,« setzte er lächelnd hinzu, »Sie selbst sind auch nicht ganz ohne Schuld, denn wenn man meint, Ihr wahres Ich zu erblicken, so setzen Sie flugs die berühmten zwei Satanellahörnchen auf, die einen so schadenfroh anfunkeln, daß man ein kaltes Sturzbad zu erhalten meint.«
»Nun gestehen Sie selbst Ihr Unrecht,« entgegnete sie. »Kalt Wasser ist allzeit wohlthuend – ich dachte aber, daß es in der Hölle – heiß sei.«
»O, allzu heiß und allzu kalt – das sind Gegensätze, die entschieden in der Hölle erfunden worden sind,« sagte er mit einem Seufzer und fügte warm hinzu, wie sie ihn nie sprechen gehört: »Nein, wirklich, Dolores, auch Sie müssen an meine schwer errungene, bessere Überzeugung glauben!«
»Soll das ein Kompliment sein?« fragte sie neckend.
»Nein,« erwiderte er ehrlich. »Aber warum auch nicht das? Eine schwer errungene Sache zeugt von einem Siege gegen manche menschliche Schwachheit, und da ich die gewonnene Überzeugung eine bessere nannte, so kann dies auch ein Kompliment sein, nur ums Himmels willen nicht im gewöhnlichen Sinne gedankenlosen Salongeschwätzes.«
Da sah Dolores ihn ernst an und freundlich dazu.
»Sie haben recht,« sagte sie mit gänzlich verändertem Ton. »Ich will mich bemühen, stets dieser Auffassung eingedenk zu sein nach dem Wahlspruch unseres Hauses: ›Alle Falken ehrlich.‹ Und mehr noch – heut', da Sie mir die Nachricht bringen, daß die Freifrau von Falkner gewählt worden ist von Ihnen, heut' verspreche ich, Vergangenes vergangen, vergessen und begraben sein zu lassen!«
»Dolores!« rief er und ergriff ihre Hand und küßte sie, die willig aber ohne Druck in der seinen lag, und dann sah er sie an, lange, mit seltsam verschleiertem Blick: »Das also war der Preis, die Bedingung unseres Friedens?« fragte er langsam.
»Ja,« sagte sie mit fester, aber freundlicher, beinahe freudiger Stimme.
Da ließ er ihre Hand los. »Ich fange an, Sie zu verstehen, Dolores!«
Nun reichte sie ihm die Hand von selbst.
»Das freut mich von Herzen,« sagte sie so warm, so schlicht und voll wirklicher Anmut, wie er nie geahnt hatte, daß sie sich geben konnte. Und all' das war nicht für ihn, zu hoch, zu unerreichbar, und wie das Auge von ferne nur glorreiche, wunderbare Berggipfel anzustaunen vermag, die unzugänglich sind für Menschenwitz, Menschenneugierde und Menschenfuß, so auch wurde ihm gezeigt, was er ohne die goldene Fessel, die ihn gefesselt hatte, nicht schauen gedurft.
»Und nun zu Ihrer Bitte, Vetter Alfred,« rief sie heiter nach einer langen Pause, die ihr das innere Gleichgewicht wiedergeben mußte. »Ich bin furchtbar stolz darauf, die Erfüllung eines Ihrer Wünsche in meiner Macht zu haben!«
»Ich bin nur nicht ganz sicher, ob Sie meine Bitte nicht für Neugierdesans phrasehalten,« erwiderte Falkner, mühsam auf ihren Ton eingehend.
»Jetzt machen Sie mich aber unverhältnismäßig neugierig!«
»Ich möchte gern die Prophezeiung der Ahnfrau hören,« erwiderte er bittend. »Ist das eine große Schwäche?«
Da wechselte die Blässe ihres Gesichtes mit jäher Röte.
»Nein, nein,« sagte sie erschreckt, aber sie erhob sich im Moment. »Einen Augenblick Geduld,« fügte sie hinzu, »ich hole meinen Fund sogleich.«
Im Nebenzimmer aber stand sie einen Moment still und preßte die Hände gegen die Schläfen.
»Das also war's,« dachte sie mit Bezug auf das Gefühl nahenden Unheils, das sie vorhin beschlichen.
Dann holte sie das Missale der Ahnfrau aus seinem Versteck.
»Vorwärts!« sagte sie sich. »Auch das muß noch überwunden werden.«
Und wieder trat sie in den Saal, wo Falkner vor dem Bilde der Freifrau Dolorosa stand.
»Es war doch ihr Ernst mit dem Bericht von dem wunderbaren Funde der Prophezeiung?« fragte er, als sie vor ihm stand.
»Ja gewiß,« und nochmals erzählte sie ihm ausführlich von ihrem Traume und versprach, ihm das dadurch entdeckte Geheimfach zu zeigen.
Und nun nahm er mit einem gewissen Gefühl von Ehrfurcht und Rührung das Buch mit den verblichenen, vielfarbigen Bändern aus ihrer Hand und schlug den Deckel auf, und las laut und langsam die steilen, krausen Schriftzüge:
Wenn sich die Bas' dem Vetter soll vermählen,Wird sich der Falk' ein dauernd Nestlein wählen.Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt,Kann diese Falkin siegen ob dem Bösen.Wird meine arme Seele sie erlösen,Kann sie des Falken Herz zu sich bekehren,Werd' ich der Engel Alleluja hören.Dann ist ein tausendjährig Blühn beschiedenDem Stamm der Falkner auf der Erd' hienieden.Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,So wird ihr Stamm erlöschen und verschwinden.
Wenn sich die Bas' dem Vetter soll vermählen,Wird sich der Falk' ein dauernd Nestlein wählen.Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt,Kann diese Falkin siegen ob dem Bösen.Wird meine arme Seele sie erlösen,Kann sie des Falken Herz zu sich bekehren,Werd' ich der Engel Alleluja hören.Dann ist ein tausendjährig Blühn beschiedenDem Stamm der Falkner auf der Erd' hienieden.Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,So wird ihr Stamm erlöschen und verschwinden.
Wenn sich die Bas' dem Vetter soll vermählen,Wird sich der Falk' ein dauernd Nestlein wählen.Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt,Kann diese Falkin siegen ob dem Bösen.Wird meine arme Seele sie erlösen,Kann sie des Falken Herz zu sich bekehren,Werd' ich der Engel Alleluja hören.Dann ist ein tausendjährig Blühn beschiedenDem Stamm der Falkner auf der Erd' hienieden.Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,So wird ihr Stamm erlöschen und verschwinden.
Wenn sich die Bas' dem Vetter soll vermählen,
Wird sich der Falk' ein dauernd Nestlein wählen.
Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,
Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,
Die einst im Brautgewande ward gemalt,
Kann diese Falkin siegen ob dem Bösen.
Wird meine arme Seele sie erlösen,
Kann sie des Falken Herz zu sich bekehren,
Werd' ich der Engel Alleluja hören.
Dann ist ein tausendjährig Blühn beschieden
Dem Stamm der Falkner auf der Erd' hienieden.
Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,
So wird ihr Stamm erlöschen und verschwinden.
***
Und dieses Edelfalkenpaar, die letzten Falken aus dem alten Nest, für die drei Jahrhunderte früher die Hand einer Unglücklichen diese Zeilen niedergeschrieben zu haben schien – sie standen sich jetzt gegenüber unter dem Bilde der unseligen Prophetin – Falkner wunderbar erregt, Dolores blaß zwar, aber scheinbar unbewegt und kühl.
»Ein seltsames Elaborat,« unterbrach er dann die herrschende Stille. »Es fällt, angesichts dieser verworrenen, gereimten Andeutungen schwer, an den klaren Geisteszustand der Schreiberin zu glauben, den sie selbst so feierlich betont, doch das Geheimnisvolle, Unklare ist ja das Zeichen aller Sybillen.«
Dolores nickte.
»Wollen Sie das Geheimfach sehen?« fragte sie etwas unvermittelt. Er schien die Frage gar nicht gehört zu haben.
»Dolores, Sie und ich, wir sind die letzten Falkner,« sagte er, sie voll anblickend.
Sie versuchte zu lächeln.
»Uns hat sie aber nicht gemeint,« rief sie, auf das Bild deutend.
»Abergläubische würden das trotzdem glauben,« entgegnete er, »denn drei Zeilen dieses wunderbaren Ergusses zeigen ja geradezu mit Fingern auf uns. Die erste ist auch der Beginn der Prophezeiung, wenn man's überhaupt eine solche nennen will – die andern beiden Zeilen:
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt, –
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt, –
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,Die einst im Brautgewande ward gemalt, –
Wenn neu sie auflebt in der Huldgestalt,
Die einst im Brautgewande ward gemalt, –
diese Zeilen werden ja lebendig, wenn Sie neben dies Bild treten!«
»Das ist Zufall,« sagte sie lächelnd. »Denn wenn auch diese Zeilen anwendbar sind auf Sie und mich, so wissen wir's doch nicht, ob wir die letzten Falken sind, weil eine Freifrau von Falknerin spealle Lust bezeugt, die dritte im Bunde zu werden.«
»Ah, das ist freilich ein schlagender Beweis,« erwiderte Falkner, indem er das Buch in ihre Hände zurücklegte.
»Ich hebe es als Familienreliquie auf für –« für Ihre Kinder, wollte sie sagen, brach aber ab und fügte hinzu: »Für Sie.«
Und dann zeigte sie ihm das Geheimfach hinter dem Madonnenbilde des Beato Angelico, und nachdem sie davon noch harmlos eine Viertelstunde verplaudert, empfahl er sich, und sie gab ihm das Geleit bis zur Thür.
»Sie haben Ihrer Mutter von Ihrer Verlobung natürlich schon Mitteilung gemacht?« fragte sie während des kurzen Ganges.
»Gewiß. Ich war zuerst bei ihr.«
»Und sie freute sich natürlich sehr?«
»Soweit sie Gefühle äußern kann und darf, glaube ich es annehmen zu dürfen,« erwiderte Falkner bitter, fügte aber gleich in anderem Tone hinzu: »Und werden Sie kommen, in Monrepos zu gratulieren?«
»Ich komme heut' noch,« versprach sie, und als sie ihm dann die Hand reichte, sagte er:
»Also unser Bündnis gilt von heut' an? Denn ich habe Ihr Versprechen des Vergebens und – des Vergessens.«
»Ja,« antwortete sie, ihm frei ins Auge sehend: »Alle Falken ehrlich!«
Und Falkner ging, aber nicht so leichten Herzens, wie er gedacht hatte. Er wußte, sie würde ihr Versprechen halten; das war ihm ein wahrhaft freudiges Gefühl, als hätte er dadurch etwas Dunkles, Schweres abgestreift, das ihn befleckt hatte, und er fühlte sich frei und erfrischt. Aber das Weh im tiefsten Herzen – das Weh war zurückgeblieben, und am liebsten wäre er umgekehrt auf der Treppe und wäre wieder vor sie hingetreten und hätte gesagt: »Dolores, wir sind das Edelfalkenpaar, das letzte! Wann werden wir uns finden?« – Aber er durfte nicht mehr, seine Ehre war verpflichtet, sein Wort gegeben. »Arme Lolo!« dachte er. »Aber du sollst nicht leiden darunter, denn nun, da sie vergeben und vergessen hat, werd' ich dir leichteren Herzens so viel Glück geben, wie mir übrig geblieben ist.« – Und während er nicht ohne Rührung der rückhaltlosen Liebe des Fürstenkindes für ihn gedachte, war es sein heißer Wunsch, das kleine, elfengleiche Wesen wirklich glücklich zu machen.
Am Fuß der Treppe begegnete ihm »zufällig« sein Stiefvater.
»Ei der Tausend! Das war ja ein langer Besuch – wenn das durchlauchtige Bräutchen dadurch nur nicht eifersüchtig gemacht wird,« sagte Doktor Ruß scherzend.
»Das könnte passieren, wenn du es ihr in geschickter Weise plausibel machst,« gab Falkner gereizt zurück, denn der zweite Gatte seiner Mutter machte ihn nervös. Er ärgerte sich selbst stets darüber, aber immer wieder brach die unsägliche Antipathie durch.
Doktor Ruß lachte leise vor sich hin, wie er's gleichfalls unabwendlich gewohnt war, wenn sein Stiefsohn unter seinen Worten wie ein gestochenes Roß sich emporbäumte. Wasaber die Worte nicht thaten, vollendete dann dieses Lachen – wütend ließ Falkner den Doktor stehen und ging zu seiner Mutter, um ihr Lebewohl zu sagen.
»Meine Braut wird zu dir kommen mit Fräulein von Drusen,« sagte er ihr, und über die blassen, käsigen Züge der Frau Ruß flog ein Rot des Stolzes, und die kalten Augen blitzten triumphierend und fast zärtlich zu dem Sohne hinüber.
»Ich freue mich so sehr,« sagte sie im heftigsten Stricken, »besonders aber, weil du den Rotkopf nicht hast zu heiraten brauchen.«
»Ist Dolores dir so unsympathisch?« fragte er erstaunt.
»Ich kann sie nicht leiden,« stieß Frau Ruß hervor. »Ich habe sie schon als Kind nicht gemocht, den wilden, ungezogenen Balg. Und daß Ruß wieder versprochen hat, bis zum Herbst hier zu bleiben, ist mir gar nicht recht. Aber was ist da zu machen – er will eben!«
Falkner konnte sich's schon denken, warum »er« wollte, denn er wußte es so gut wie jener, daß sich hier besser und bequemer die gesuchte Professur erwarten ließe. Aber er überging dies Thema wohlweislich, denn einmal hatte seiner Mutter langer Aufenthalt das Peinliche für ihn verloren, und dann war es sein Grundsatz, die Wege des Doktor Ruß so wenig wie möglich zu kreuzen.
»Dolores ist aber eigentlich sehr nett dir gegenüber,« sagte er deshalb nur. »Ich begreife deine Abneigung nicht.«
Frau Ruß ließ den Strickstrumpf sinken, sah sich um, ob niemand Unberufenes in der Nähe war, überzeugte sichauch, daß ihr Gatte draußen immer noch vor einer seltenen Zierpflanze stand, und sagte dann flüsternd:
»Ich bin eifersüchtig auf sie, Alfred!«
»Aber Mutter – –«
»Eifersüchtig, sage ich dir,« fuhr sie leidenschaftlich fort. »Freilich, noch weiß ich's nicht gewiß, ob sieihnverführen will, oder oberFeuer gefangen hat an den roten Satanshaaren. Aber so oder so – sie stört meinen Frieden!«
»Da kannst du ruhig sein, Mutter –siewird deinen Frieden nicht antasten,« entgegnete Falkner, warm für Dolores eintretend und zugleich voll Mitleid für die arme Frau, die sich das elende Leben, das sie führte, selbst noch zu verbittern versuchte in der schlimmsten Weise.
Hinten herum, um Doktor Ruß nicht noch einmal zu begegnen, ging er nach Monrepos zurück, und Ekel erfaßte ihn bei dem Gedanken, daß das Herz seines Stiefvaters wirklich schneller schlagen könnte für seine Gastfreundin. Und dann mußte er lachen, als er der anderen Version seiner Mutter gedachte. Vor einem Monat hätte er vielleicht noch daran geglaubt und die Achseln dazu gezuckt, aber heute konnte er darüber lachen, gottlob.
Wohin aber mit seiner Mutter, wenn der Aufenthalt im Falkenhofe endlich einmal zu Ende ging? Sie zu sich nehmen? Gern, obwohl er und sie sich nicht verstanden, nie verstanden hatten. Aber das hätte ihn nicht zum Gegenteil bestimmt. Dochmitihrem Gatten sie aufnehmen – nun und nimmermehr! Und Falkner überlegte, wo er darauf wirken konnte, daß Ruß eine unabhängige Stellung irgendwo erhielt, die ihm eine anständige Subsistenz für seine Frau ermöglichteund deren Lebensstellung nicht herabdrückte zur Unerträglichkeit für die stolze Frau.
Als er nach Monrepos kam, sah er den Herzog im Gartenkostüm, mit einer Riesenschere bewaffnet, den Hut im Genick, vor seiner jüngsten Tochter stehen, welche auf einem niedrigen Gartenstuhle mehr lag als saß, das Gesicht mit beiden Händen verhüllt hatte, anscheinend weinend, und von Zeit zu Zeit den Fußboden mit den niedlich bekleideten Füßchen stampfte und schlug. Erstaunt blieb er einen Augenblick an der Pforte stehen – was war da vorgegangen?
»Höre, Lolo,« hörte er den Herzog sagen, »das ist eine Unvernunft!«
Die Antwort schien nur erneutes Schluchzen zu sein.
Anscheinend ratlos schnappte der hohe Herr ein paarmal mit der Gartenschere in die leere Luft.
»Und außerdem blamierst du dich vor den anderen und machst dich vor den Dienstboten lächerlich,« fuhr er fort, und als ihm darauf ein leiser Schrei, etwa wie ungezogene Kinder zu schreien pflegen, antwortete, da sagte er ganz ärgerlich: »Wo hat denn nur der Kuckuck diesen Falkner?«
»Hier, Hoheit,« antwortete der vom Gitter her, das er nun hinter sich schloß und der Gruppe zuschritt. Seine Stimme aber gab nur das Signal zu einem Schrei- und Weinkonzert, welches nun bei Prinzeß Lolo unaufhaltsam losbrach und zwar mit einer Vehemenz, daß der Herzog sich die Stirn zu trocknen begann und Falkner nicht wußte, ob er stehen bleiben oder vorwärts gehen sollte. Als er letzterem denn doch den Vorzug gab, neben die Prinzeß trat, den Arm um ihre Schultern legte und leise sagte: »Lolo! Ich bin hier,« dasprang sie empor, ballte die niedlichen Fäustchen und stampfte wütend den Boden.
»Du kannst bleiben, wo du warst! Wohl bei ihr, der rotköpfigen Komödiantin! Mich so warten zu lassen – und am ersten Tage unserer Verlobung – geh'. Ich mag dich nicht mehr sehen!«
Ganz erstaunt hatte Falkner diesen Ausbruch über sich ergehen lassen – jetzt zog er ruhig die Uhr hervor.
»Als ich heut' früh nach dem Falkenhofe fortging, sagte mir Lolos Kammerfrau, daß Durchlaucht vor zwölf Uhr mittagsniemalsdraußen erschienen und zu sprechen sei. Es ist jetzt zehn Minutenvorzwölf Uhr,« sagte er.
»Das ist nicht wahr! Es ist mindestens zwei Uhr! Ihr habt die Uhren zurückgestellt, um mich zu täuschen!« tobte das Prinzeßchen weiter, aber nicht mehr so heftig als vorher.
»Kommen Sie, Falkner,« rief der Herzog, dessen Geduld entschieden zu Ende zu gehen schien. »Gegen die Unvernunft giebt's kein Mittel!«
Falkner zögerte einen Moment.
»Lolo! Aber Lolo!« sagte er leise.
Da flog sie an seine Brust und in seine offenen Arme, und vergnügt schmunzelnd ging der Herzog seiner Wege.
»Ja, ja, Sascha hat recht,« dachte er, »für dieses Köpfchen brauchten wir einen Petrucchio. Und fürstliche Petrucchios giebt's nicht. Habe wenigstens nie etwas davon gehört. Wird ja Grund zum Gerede geben, diese Heirat – billiges Vergnügen das – kann man sich gefallen lassen.«
Indes hielt Falkner seine kleine, blonde Braut in den Armen und streichelte ihr weiches, lichtes Haar.
»Ich hatte mich heut' schon so auf dich gefreut,« gestand sie ihm, »ich war schon um halb elf Uhr draußen – da warst du fort, und nun habe ich gewartet, gewartet, gewartet – o, so schrecklich lange!«
»Eine halbe Ewigkeit,« ergänzte Falkner lächelnd und küßte das reizende Gesichtchen, das sich so innig an seine Brust schmiegte, aus dessen Augen er las, daß er wirklich geliebt sei, geliebt, wie kein anderer Mensch auf der weiten Welt ihn liebte. Was also nützte es, nach einer anderen Liebe zu verlangen, die für ihn nicht erreichbar war? Und während er auf das leidenschaftliche Geschöpfchen an seiner Brust herabsah, gelobte er sich, es zu führen und zu leiten und dessen nicht mehr zu gedenken, was hätte sein können.
Auf Monrepos war nun mit der Verlobung des jüngsten Prinzeßchens ein neues Leben eingezogen. Der Herzog hatte die Vermählung seiner Tochter für den Herbst fixiert, ehe man den Landbesitz, fern von der großen Straße, verließ, um in die Residenz zurückzukehren. Dann sollte das junge Paar eine Hochzeitsreise machen, und bis dahin gedachte der Herzog seinem Schwiegersohn einen Gesandtschaftsposten zu erwirken, oder besser gesagt, einen Posten als Gesandter. Außerdem war Monrepos als Morgengabe der fürstlichen Braut zugedacht und diese Schenkung schon verbrieft, und der Herzog dachte nicht daran, an diesen längst getroffenen Bestimmungen zu ändern oder zu rütteln.
Daneben gestaltete sich der Verkehr zwischen Monrepos und dem Falkenhofe immer nachbarlicher und freundschaftlicher, denn der Umstand, daß Prinzeß Sascha sich mehr und mehr zu Dolores hingezogen fühlte und auch der Erbprinzsich sehr wohl in ihrer Gesellschaft befand und dieselbe häufig auch suchte, ließ viel von den Schranken fallen, welche die Etikette sonst aufrichten mußte. Aber die fürstliche Familie kannte in der Sommerfrische keinen Etikettenzwang, von dem sie im Winter noch genug verspürte, denn gewöhnlich werden die starren Gesetze aus dem Codex der Etikette an kleinen Höfen viel strenger und verschärfter befolgt, als an großen Hoflagern – wahrscheinlich ist der Grund dafür der, daß man fürchtet, der heilsame »Zug,« der das eintönige Leben zusammenhält, möchte bei milderer Anwendung nach und nach einschlafen und der »Hof« zu einem einfachen adeligen Haushalt herabsinken. Aber zu Monrepos war man, wie gesagt, nur Gutsnachbar, nicht regierender Herr, um so mehr und um so lieber, als Schloß und Gut auf fremdem Boden lagen. Im Bunde die Dritten waren oft Graf und Gräfin Schinga, und wenn ersterem auch, wie er daheim unverblümt versicherte, die Leute in Monrepos und Falkenhof zu »gebildet waren,« »ihm zu viel auf dem Flügel droschen, grölten und sogenanntes ästhetisches Blech quasselten,« so fühlte er sich doch, wie er sich allein gestand, »kolossal gekratzt,« in ihrem exklusiven Kreise, der sich über ihn amüsierte, ein ständiges Glied zu sein. Dabei versicherte er seiner Frau unverblümt und mit naivster Offenheit, daß er in das »prachtvolle Weib,« Dolores Falkner, bis über die Ohren »verschossen« sei und ihr »riesig die Cour schneiden« müsse. Die Gräfin rührte dies Bekenntnis nicht weiter, geschweige denn, daß es sie eifersüchtig machte, denn da ihr Gehirn entschieden ausgebildeter war, als das ihres Gatten, Eifersucht außerdem ein Luxus war, den ihre Ehe nicht kannte, und Doloresihr sympathisch war, so nahm sie des Grafen in Hyperbeln sich bewegenden Enthusiasmus so kühl hin, wie alles andere von ihm. Dolores hingegen bat recht oft um den Besuch der Arnsdorfer Herrschaften, erklärte der Gräfin aber die positive Unmöglichkeit, zu ihr kommen zu können wegen der Schlangen. Gleichmütig wie alles und absolut erhaben über die Kleinlichkeiten eines Kerbholzes über abgestattete und abzustattende Besuche nahm Gräfin Schinga auch diese Erklärung auf, versprach recht oft von selbst zu kommen und nahm Dolores den angegebenen Grund gar nicht übel.
»Ich begreife nur nicht, wie Sie mit dieser Aversion gegen Schlangen in Brasilien existieren können,« meinte sie, und Dolores gestand, daß ihr diese exotische Landplage den Aufenthalt im Heimatlande ihrer Mutter allerdings unerträglich machen würde.
Das freundnachbarliche Verhältnis zwischen Falkenhof und Arnsdorf wurde aber noch durch den Umstand besiegelt, daß Dolores den berühmten Pony des Grafen Schinga kaufte und einen Preis dafür zahlte, für welchen sie ein Vollblutpferd erster Klasse erhalten hätte.
»Dreitausend Mark für diesen Ziegenbock, welcher rohrt, Gallen hat und am Hahnentritt leidet!« schrie Engels, als er die Anweisung zur Auszahlung erhielt. »Nicht dreihundert ist dieses Biest wert! Und außerdem alt wie Methusalem. Das ist ja niederträchtiger Betrug!«
Aber Dolores lachte.
»Das weiß ich ja alles, lieber Engels,« sagte sie sehr heiter. »Aber Sie wissen, das Pferd ist Graf SchingasTollpunkt und für gute Beziehungen mit den lieben Nachbarn kann man schon 'mal etwas ausgeben.«
»Ja, wenn Sie sich noch in den Reichstag, oder ins Abgeordnetenhaus wählen lassen wollten, aber so –!« Und Engels zuckte mit den Achseln und erklärte Dolores innerlich für »meschugge.«
Und doch wußte sie, was sie mit diesem lächerlichen Kaufe that, denn auch sie war, wie alle Welt, von den derangierten Verhältnissen des Grafen unterrichtet, sowie von seiner dadurch bedingten, krampfhaft und chronisch gewordenen Eigentümlichkeit, alle Welt anzuborgen (pumpen nannte er selbst diesen Vorgang). Um diesen unvermeidlichen Akt in eine andere Form zu kleiden und ihm zuvorzukommen, proponierte Dolores dem Grafen den Kauf der Schindmähre und bat ihn, den Preis selbst zu fixieren. Da nun Graf Schinga überzeugt war, daß Dolores versuchen würde, von der genannten Summe nach dem Grundsatze: »Sagt er zwölfe, meint er zehne, will er acht haben – sechs ist's wert, vier möcht' ich geben, biet' ich zwei« – einen beträchtlichen Teil abzuhandeln, so nahm er den Mund gleich ordentlich voll und forderte den exorbitanten Preis, der Engels in helle Wut versetzt hatte. Aber Graf Schinga blieb einfach der Mund offen stehen, als Dolores sich, ohne zu zucken, mit der Summe einverstanden erklärte – er fuchtelte mit den langen Armen umher, schlug sich auf die Kniee, daß es knallte und – schämte sich eigentlich »kolossal.«
»Nee, nee!« schrie er endlich, »das geht nicht! Soviel können Sie dafür nicht geben!«
»Doch,« erklärte Dolores etwas von oben herab. »Sonst müßte ich ja glauben, daß Sie mich hätten übervorteilen wollen.«
Darauf wurde Graf Schinga ordentlich rot, denn seinen »Schmu« hatte er ja machen wollen, das »stimmte wie Apfelkuchen mit Schlagsahne,« und wenn er sich nicht bloßstellen wollte, mußte er dies Geld einfach nehmen. Und er nahm es auch. Dolores aber hatte dadurch wirklich den gefürchteten Borg verhindert, denn nach diesem Kauf noch damit zu kommen – das that selbst ein Graf Schinga nicht.
Aber er that etwas anderes mit dem Gelde – er erklärte, davon eine »kolossal noble Gesellschaft, das reine Katzenschießen« geben zu wollen. Er fuhr also zum Zweck der nötigen Einkäufe nach Berlin, verspielte dort zwei Drittel des Geldes, vergeudete von dem übrig gebliebenen die Hälfte und kam dann mit einem Riesenkater, sowohl physischem als moralischem, nach Hause. Der erstere hielt aber bedeutend länger vor.
Jedenfalls waren das Resultat dieser Kunstreise Einladungen auf steifstem Kartonpapier, welche im »Triangel« versendet wurden, und nach deren Tenor Graf und Gräfin Schinga sich die Ehre gaben, zur Soiree – u. s. w. u. s. w. ganz ergebenst einzuladen. Auf der an Dolores adressierten Karte hatte die Gräfin in Parenthese bemerkt, daß die Schlangen für diesen Abend in einem verschlossenen Kasten beim Inspektor aufbewahrt werden würden, und Graf Schinga hatte in seiner unbehilflichen Sextanerhand dazugeschrieben: »Sagen Sie um Gottes willen diesen sauren Mops nicht ab – es giebt Hummern und kein solch verächtliches Zeug, wie deutschen Sekt, sondern Röderercarte blanche.«
Dolores lachte Thränen über diese vorgehaltene Lockspeise, aber Engels, der gerade dabei war, als die Einladung ankam, sagte wütend:
»Das istIhrGeld.«
»Ei behüte, wir haben ja das Pferd dafür,« erwiderte Dolores, und sagte dann ernster: »Hören Sie, Engels, ich habe schon daran gedacht, Arnsdorf zu kaufen. Was meinen Sie dazu?«
»Wenn Sie's so billig kriegen können, wie das Pferd –«
»Ah, das war ein Extravergnügen.«
»Na, warten wir damit, bis es subhastiert wird, dann ist's ja am Ende keine so üble Erwerbung,« schlug Engels vor, und Dolores beugte sich gern seiner besseren Einsicht und Erfahrenheit.
Natürlich war das Fest bei Schingas ein glänzendes Unikum. Abgesehen von der schäbigen Eleganz der Einrichtung des wackeligen Arnsdorfer Herrensitzes, abgesehen auch von dem Umstande, daß das Abstäuben selbst an diesem Tage als rein äußerlich für unnötig befunden ward, brachte der Abend nur Überraschungen, wie alte Kochtöpfe als Sektkühler neben den schwersten Silberschüsseln, verbogene Hornmesser neben prachtvollen Bestecks, und in den herrlichen Damasttafeltüchern Mäuselöcher und Messerschnitte. Daß die berühmten Hummern unaufgeschlagen erschienen, soll nur nebenbei erwähnt werden, da es schon in größeren Häusern ähnlich passiert sein soll, aber daß die kleinen Rosinen im Apfelmus sich als schnöde darin ertrunkene Fliegen erwiesen, als man der Sache auf den Grund ging, war doch schon eine stärkere Zumutung, die allein die Spitze verlor durch den unleugbaren Umstand, daß alles mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt gegeben ward und die Wirteselbst ersichtlich ahnungslos darüber waren, daß es bei ihnen so ganz anders war, als sonstwo.
Prinzeß Lolo wollte sterben vor Lachen über alles was sie sah und genoß, oder vielmehr genießen sollte, denn es war wirklich nicht alles dafür geeignet, und Falkner hatte alle Mühe, laute Lachsalven und leise sein sollende Bemerkungen seiner übermütigen Braut durch Bitten zu dämpfen oder im Sinne von »Europens übertünchter Höflichkeit« auszulegen, denn wenn jemand uns etwas bietet mit der ersichtlichen Überzeugung, sein Bestes gethan zu haben, und wäre dieses Beste auch wirklich mehr außergewöhnlich und grotesk als unseren Lachmuskeln zuträglich ist, so haben wir immer noch nicht das Recht, den Geber ins Gesicht zu verhöhnen, selbst wenn wir die löbliche Absicht haben, ihn hinter seinem Rücken lächerlich zu machen. Im Grunde genommen ist eins so jammervoll wie das andere, aber obgleich das erstere noch wenigstens Mut bezeugt, so ist es doch peinlich für den Dritten, und so erging's Falkner auch bei den rücksichtslosen Heiterkeitsausbrüchen seiner kleinen Braut, und aus dem peinlichen Gefühl wurde heller Ärger, als er sah, wie sie sich, eines besseren Publikums sicher, an Dolores wandte, und diese, errötend über die taktlos lauten Witzeleien, auf dieselben nicht nur nicht einging, sondern sie sogar sehr kühl und entschieden ablehnte. Obgleich der herrschende Ton dieses Festes zwanglos und heiter war, so atmete Falkner doch auf, als die Wagen von Monrepos vorfuhren und der Abend damit ein Ende nahm. Und beim »Gute Nacht,« als Dolores ihm freundlich die Hand reichte, sagte er ihr: »Wenn Sie wüßten, wie oft ich Ihnen schon im Herzen abgebeten habe –«
»Aber wir haben ja abgemacht, am Vergangenen nicht mehr zu rühren,« sagte sie lächelnd und mit bittendem Blick.
»Ich meine ja nur so, Cousine, weil Sie meine Braut heut' vor ihrem Übermut bewahrt haben. Ich habe es wohl beobachtet.«
»O, das wird niemand scharf auffassen,« entgegnete Dolores, »denn Prinzeß Eleonore ist noch so jung, so voll von Lustigkeit –«
»Und Sie schon so alt und gesetzt!« erwiderte er scherzend.
Da lachte sie doch, trotz ihrer Bemühung, die Mißstimmung Falkners zu besänftigen.
»Vier Jahre Unterschied machen viel bei einer Frau,« meinte sie dann weise, »und außerdem,« fuhr sie ernster fort, »außerdem habe ich so etwas wie eine Schule des Lebens durchgemacht.«
»Ich wollte, Lolo hatte auch ein paar Klassen dieser Schule hinter sich,« murmelte Falkner. Er war ernstlich mißgestimmt, denn das Benehmen seiner Braut dünkte ihm weniger kindliche Lustigkeit als Mangel an Herz und Gemüt, und wenn ein Bräutigam das findet, so ist es ein schlimmes Zeichen für die künftige Ehe.
Dasselbe dachte Dolores auch, als sie, selbst kutschierend, durch die warme, sternenhelle Nacht nach Hause fuhr, und sie freute sich nur, daß er nicht dabei gewesen und es nicht gesehen, wie Prinzeß Lolo die Gräfin Schinga so lange gequält, bis diese ihre Schlangen holen ließ und um die Arme legte, und die Ahnungslose dann mit hellem Gelächter auf die vor Abscheu blasse Dolores zustieß, daß die kalten, glatten Leiber der ekelhaften Reptile sie berührten und das eine derselbenzischend und züngelnd auf sie losfuhr. Diesen »Scherz« nannte sie ihrerseits nun wieder mit anderem Namen, um so mehr, als ihr bei dem bloßen Gedanken an die Berührung mit den verhaßten Tieren noch die Zähne zusammenschlugen vor Entsetzen. Über solche Abneigungen gegen gewisse Tiere zuckt die Wissenschaft nur die Achseln, nennt sie gelehrt Idiosynkrasie, aber eine Erklärung dafür hat sie noch nicht gefunden.
Dolores war's jedenfalls lieb, daß Falkner der Schlangenscene nicht beigewohnt hatte, denn wozu Flecken werfen auf das Bild seiner Auserwählten. Freilich waren ihr schon Zweifel gekommen, ob Prinzeß Lolo wirklich sein Ideal, seine Erwählte sei, oder ob nicht der Vorfall in und an der Gruftkapelle ihn dazu verpflichtet hatte, ihre Hand zu erbitten. Das allerdings begriff sie nicht, warum die herzogliche Familie sich so schnell bereit gefunden hatte, diese fürstliche Hand dem Vasallen zu bewilligen, denn am Ende war die öffentliche Liebeserklärung der Prinzeß ja nicht vor der ganzen Welt, sondern vor einem kleinen Kreise geschehen, dem man durch ein Wort hätte bedeuten können, von dem Gehörten keinen Gebrauch zu machen.
Aber es geschehen mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als jedermann sich erklären und zusammenreimen kann, und darum grübelte Dolores auch nicht weiter darüber, »wie es wohl gewesen sein könnte,« aber mit tiefem Schmerz im Herzen sagte sie sich, daß Glück und innere Befriedigung ihm durch diese Braut wohl nicht erblühen könnte. Und dieser Gedanke machte sie unsäglich traurig, und sie verwünschte die Fügung, die sie vor Jahr und Tag zur Bühnenlaufbahn gedrängt, denn längst hatte sie diese als Wurzel alles Übels erkannt,und das war's, was ihr die Wiederaufnahme derselben zur Unmöglichkeit machte, wenn auch Prinzeß Alexandra freudigihreÜberredungsgabe als das Entscheidende bei diesem Entschlusse pries. Erst hatten der Stolz und der Widerspruchsgeist sich in ihr aufgebäumt gegen den Entschluß, aber nicht, weil Prinzeß Alexandras engerer Horizont die Tiefen einer echten Künstlerlaufbahn nicht umspannte, sondern weil Falkner sich in Antipathie davon abwandte, und sie um keinen Preisihnhätte glauben machen wollen, es geschehe seinetwegen, daß sie ihrem zuerst gewählten Berufe entsagte. Und dann hatte der Impuls eines Momentes die Entscheidung gebracht, und nun – nun that es nichts mehr zur Sache, was er sich dabei dachte. Sie hatten Frieden geschlossen miteinander, ehrlichen Frieden durch sein männlich mutiges Eingeständnis seiner Vorurteile und des daraus entsprungenen Unrechts – was wollte sie weiter?
Am Eingang zum Falkenhofer Park hielt sie die Pferde an und sprang vom Wagen – es gelüstete sie, bis zum Hause zu gehen, um die Kühle nach dem heißen Tage noch zu genießen. Nachdem sie dem Groom die Zügel gegeben und ihm empfohlen hatte, im Schritt zum Stalle zu fahren, bog sie in eine Seitenallee des Fahrwegs ein, nahm den Hut ab und ging langsam dahin – kaum daß der Kies unter ihrem leichten Fuß knirschte.
In einem Rondel, das sie durchschreiten wollte, sah sie eine Cigarre glühen und erkannte in dem Raucher bald den Doktor Ruß, welcher also in seiner Weise den schönen Abend genoß. Eigentlich lag ihr nichts an einem erneuten Plauderzwang, aber da sie fürchten mußte, in dem weißen Kleide,das sie der Hitze wegen mit dem schwarzen heut' zum erstenmal vertauscht hatte, auch in dem Dunkel des Baumschattens entdeckt zu werden, so ergriff sie lieber die Initiative und rief heiteren Tons: